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    Anne Patsch

    Die erfolgreiche Strafverteidigerin
    gegen alle Anschuldigungen von
    Sexualdelikten. Bundesweit.

     
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    Die Wendung zum Guten
    fußt auf Vertrauen.

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    Kleine Unterschiede
    bestimmen den Erfolg!

Stealthing. Oder die Kondom-Frage.

Ein paar ungeschützte Gedanken zu einem angeblichen Trend-Thema.

 

Derzeit erhält eine Verhaltensweise während des Geschlechtsverkehrs mediale und fachjuristische Öffentlichkeit, die – obwohl Einvernehmlichkeit besteht – als Schändung, Körperverletzung und Vergewaltigung diskutiert wird. Es geht um das sog. Stealthing. Der Begriff kommt vom Englischen stealth, was Heimlichtuerei, Verstohlenheit, List bedeutet. Gemeint ist damit, dass ein Sexualpartner heimlich und ohne Einwilligung des anderen Sexualpartners während des Sexualakts das Kondom abzieht und die sexuelle Handlung bis zur Ejakulation vollzieht. Auch homosexuelle Männer sind von dieser Praxis betroffen. Der Sex findet in gegenseitigem Einvernehmen statt, aber entgegen der Vereinbarung nicht geschützt: Die Übertragung von Geschlechtskrankheiten und eine Schwangerschaft werden möglich. 

Thema Stealthing: Warum gerade jetzt?

Kondome werden beim Stealthing heimlich entfernt.Ein Journalist der Welt spricht in einem Artikel von einem sogenannten „Sex-Trend“.1 Ein richtiggehender Trend ist es wohl nicht, auch wenn einem das angesichts der vielen aktuellen Berichterstattungen und anonymen Diskussionen in Internetforen so erscheinen mag. Auch eine amerikanische Studie, in der Alexandra Brodsky Frauen zum Thema Stealthing interviewte2, gibt keinen Hinweis auf eine quantitative Zunahme. Einen gewissen Trend stellt aus meiner Sicht allerdings die gesteigerte Öffentlichkeit und das vermehrte öffentliche Interesse dar. Dazu gehört auch das Phänomen, dass sich im Netz einige wohl unbelehrbare Männer berufen fühlen, anonyme Ratschläge über das erfolgreiche Praktizieren von Stealthing zu erteilen. In unserer Zeit unverblümter empathieloser Botschaften im Netz, aber auch ausgeprägter und mitunter unverhältnismäßiger Sensibilität für männliches Fehlverhalten im Gefolge von #MeToo erhöht sich einfach das Bewusstsein für jede Form von Sexualität, die als Vergehen erscheint und Zweifel über die Einvernehmlichkeit der sexuellen Handlungen aufkommen lässt. Und das trifft auch auf einen großen Teil der Berichte in renommierten Medien zu. Bedauerlicherweise finden sich nur wenige Beiträge, die ein wirklichkeitsnahes Bild von Sexualität in die Debatte einbringen und der Dimension der oft nicht ganz so romantischen Realität der Geschlechterbeziehungen bei Männern wie auch bei Frauen Rechnung tragen. Meist geht es um Fälle, in denen eindeutiges, männliches Fehlverhalten und männliche Machtausübung zum Narrativ wird. Einige Artikel machen dabei den Eindruck, das Thema schon deshalb aufzugreifen, um männliches Sexualverhalten unter Generalverdacht zu stellen. Eine realistischere Herangehensweise wäre hier sicher wünschenswert.

Um klarzustellen: Selbstverständlich ist es kein Kavaliersdelikt, wenn ein Sexualpartner das Kondom heimlich entfernt und wissentlich gegen den erklärten Willen handelt. Nur aus meiner Erfahrung als Strafverteidigerin auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts weiß ich, dass sich die Beziehung zwischen Mann und Frau sich meist nicht ganz so einfach darstellt, dass oft alles andere als Klarheit besteht, dass beide Partner oftmals eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung haben über das, was gesagt und gemeint wurde und wie das zu interpretieren sei. Und das betrifft auch die sog. Einvernehmlichkeit.

 

Was sagt das Sexualstrafrecht?

Aus strafrechtlicher Sicht ist Stealthing eine Anschuldigung, deren juristische Betrachtung vor Gericht bislang selten ein Thema war.3 Es ist deshalb eine offene Frage, inwiefern es sich dabei um eine Straftat handelt und wie diese zu bewerten sei. 

In der Schweiz stand 2019 ein Mann aufgrund von Stealthing vor Gericht und wurde in zweiter Instanz zu einer Gefängnisstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt – und zwar wegen Schändung, nicht also wegen Vergewaltigung. Im Schweizer Recht ist im Artikel 191 StGB Schändung als Straftat gegen die sexuelle Integrität definiert. Das bedeutet, dass ein Täter sexuelle Handlungen „an einer nicht urteilsfähigen oder nicht zum Widerstand fähigen Person in Kenntnis dieses Zustandes“ vornimmt. Der Mann, der während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs heimlich das Kondom abgezogen hatte, sagte später vor Gericht aus, es sei „verlorengegangen oder gerissen.“ Der Richter hatte ihm nicht geglaubt.4

Im Unterschied zum deutschen Strafrecht gibt es in der Schweiz keine Nein-heißt-Nein-Regel, die seit 2016 Bestandteil des Sexualstrafrechts ist. Das Opfer muss sich nicht mehr wehren, damit vor Gericht eine Vergewaltigung als solche betrachtet wird. Deshalb vertritt der Sexualstrafrechtler und Professor Joachim Renzikowski die Meinung: "Es handelt sich hier ganz klar um einen sexuellen Übergriff und nach § 177 Absatz 6 Nr. 1 um Vergewaltigung“. Im deutschen Gesetz bedeutet ein sexueller Übergriff eine „Tat gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person“. Kommt es zur Penetration liegt ein besonders schwerer Fall vor und es wird wegen Vergewaltigung verurteilt. Theoretisch reicht das Strafmaß dabei von zwei Jahren bis 15 Jahren. Stealthing wird mit dieser Argumentation in Deutschland zur strafbaren Handlung. Kevin Franzke hingegen kommt zum Ergebnis, dass „es sich beim Stealthing auch nach „neuem“ Sexualstrafrecht nicht um eine Sexualstraftat handelt“, dass aber einem Strafbedürfnis über die Körperverletzungs- und Beleidigungsdelikte Rechnung getragen werden kann.5

 

Das Berliner Urteil.

In Berlin kam es jüngst zu einem ersten Urteil. Am Kammergericht wurde ein Mann wegen Stealthing zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und bestätigte mit diesem Revisionsurteil die Entscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin. 

Wie kam es zu diesem Urteil? Das Opfer hatte vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Kondom unmissverständlich abgelehnt. Mit dieser Willensäußerung hatte die geschädigte Frau ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwingend widersprochen. Dass der Mann das Kondom entfernt hatte, widersprach also dem Willen der Nebenklägerin. Für Gericht bestand die Tathandlung nicht in der Penetration, sondern der Ejakulation in der Vagina der Geschädigten. Maßgebliche Bedeutung komme in diesem Fall der ungewollten Aufnahme des Ejakulats in der Vagina einer grundsätzlich gebärfähigen Frau zu.6

 

Nicht immer sind die Männer schuld. 

Man kann wohl davon ausgehen, dass Sachverhalt sich in der Regel nicht so klar und eindeutig darstellt. Bei künftigen juristischen Auseinandersetzungen wegen Stealthing wird erfahrungsgemäß die Frage nach der Einvernehmlichkeit und der Qualität der Willensäußerung zu einem entscheidenden Thema werden. Oft wird das bewusste Entfernen des Kondoms bestritten. Der vermeintliche Täter habe es nicht bemerkt, das Kondom sei im Eifer des Gefechts abgeglitten usw. Wie bei den meisten Verhandlungen von Sexualstraftaten wird Aussage gegen Aussage stehen. Das zentrale Instrument sexualstrafrechtlicher Verfahren, die Aussagepsychologie wird dann herangezogen werden, um zu untersuchen, was sich tatsächlich abgespielt hat. Damit werden auch wieder all die zwischenmenschlichen Dimensionen zu thematisieren sein, die mit unterschiedlichen Wahrnehmungen, Schuldzuweisungen, fehlgeleiteten Projektionen zu tun haben. Es ist generell schwierig, hier zu einer objektiven Beurteilung zu gelangen. 

Generell von einem entgegenstehendem Willen bei einer sexuellen einvernehmlichen Handlung auszugehen, erscheint einigermaßen wirklichkeitsfremd. Es ist nun mal nicht Normalität, dass Details des Sexualaktes vorab besprochen werden und danach die sexuellen Handlungen gemäß zuvor festgelegter Vereinbarung durchgeführt werden. Es entspricht dem realen Leben, dass bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen sich Wünsche und Willen ändern können und sich immer wieder neu an die Situation und die Gefühle anpassen. Es stellt sich dann auch die Frage, inwiefern man einem geäußerten Willen den ultimativen Stellenwert eines generellen Willens beimessen kann.7

Schon um der einseitigen Vorverurteilung der Männer als Täter etwas entgegenzusetzen, und die Perspektive realitätsnäher zu gestalten, erscheint es wünschenswert, zu überprüfen, wie hoch der Anteil der Männer tatsächlich ist, für die das vorsätzliche Entfernen des Kondoms in egoistischer Absicht und möglicherweise als Demonstration männlicher Macht Usus ist. Ebenso interessant wäre es empirisch zu erfahren, inwiefern Frauen beim Sex das Kondom ohne Einwilligung entfernen oder entsprechend präparieren, um schwanger zu werden. Es wäre dem Sexualpartner gegenüber gleichermaßen respektlos. Sexuell übergriffig zu handeln, ist immer fragwürdiges Handeln. Das gilt aber für beide Geschlechter. Und daran sollten wir immer denken, wenn sexuelle Praktiken zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzung werden. 

1 Windmüller https://www.welt.de/kmpkt/article164042058/Dieser-sogenannte-Sex-Trend-ist-in-Wahrheit-Missbrauch.html, abgerufen 25.08.2020)

2 Brodsky, Columbia Journal of Gender and Law, 2017

3 Eine ausgiebige Diskussion der strafrechtlichen Seite liefert. Kevin Franzke, Zur Strafbarkeit des so genannten „Stealthings“, BRJ 02/2019. Hier Franzke, 116

4 Vgl. Nora Burgard-Arp, Stellungswechsel. Gummi ab, Zeit Campus 12. Januar 2018.

5 Vgl. Franzke, Stealthing, BRJ 02/2019, S.114

6 Vgl. Kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 18.08.2020

7 Vgl. Franzke, Stealthing, BRJ 02/2019, S.117