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    Anne Patsch

    Die erfolgreiche Strafverteidigerin
    gegen alle Anschuldigungen von
    Sexualdelikten. Bundesweit.

     
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    Die Wendung zum Guten
    fußt auf Vertrauen.

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    Kleine Unterschiede
    bestimmen den Erfolg!

Der Kinderpornografie-Paragraph 184b StGB und die Folgen.

Über den Realitätsverlust von Staat und Gesellschaft

Mit § 184b StGB hat der Gesetzgeber im Sommer 2021 das Gesetz zur Kinderpornografie auf eine Weise verschärft, die nicht nur spezialisierten Fachanwält:innen, sondern auch Staatsanwält:innen und Richter:innen als fragwürdig und realitätsfern erscheint.
Um Ihnen eine konkrete Vorstellung zu geben, wie schnell laut dem Kinderpornografie-Paragraphen 184 b selbst beste Absichten zum Vorwurf des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie führen können, hier einige Beispiel-Situationen:

  • Eine Mutter entdeckt ein Nacktbild auf dem Smartphone ihres Kindes. Die Mutter ist empört und leitet das Foto ohne Hintergedanken an andere Eltern zur Klärung weiter. Nach § 184b StGB hat sie damit kinderpornografische Inhalte verbreitet und eine Straftat begangen. Ihr kann eine Mindest-Freiheitsstrafe von einem Jahr drohen. Und genauso den kontaktierten Eltern, wenn sie das Foto nicht augenblicklich löschen, sich nicht ausdrücklich verwehren und es sogar weiterleiten.
  • Oder stellen Sie sich vor: Sie haben ihr Kind in völliger Unschuld nackig fotografiert, leiten es stolz und begeistert an Verwandte und Bekannte weiter. Nach der Verschärfung von § 184b StGB ist das nicht süß und putzig, sondern es kann ebenfalls eine strafwürdige Handlung sein.
  • Oder: Ein Lehrer sieht auf dem Pausenhof Schüler, die Spaßvideos mit nackten Inhalten weiterleiten. Er sichert das Video auf seinem Handy und thematisiert es über WhatsApp mit betroffenen Eltern. Es kann für ihn fatale Konsequenzen haben.

 

Verschärfung des Paragraphen zu Kinderpornografie lässt keinen Ermessenspielraum

Auch im Grunde harmlose oder gar wohlmeinende Handlungen können aufgrund des verschärften Strafrechts sofort mit der geballten Staatsmacht des § 184b StGB (ugs. auch Kinderpornografie-Paragraph) konfrontieren. So absurd wie realitätsfern:
Es können Minimum 1 Jahr Haft drohen, und für das Gericht gibt es dem verschärften Gesetz zufolge keinen Ermessensspielraum.

Frau mit Smartphone

Die Strafverschärfung für Kinderpornografie von 2021 kann auch harmlose Vorgänge zum Verbrechen machen. Die Staatsanwaltschaft kann mit dieser neuen Gesetzgebung den vermeintlichen Besitz von Kinderpornografie nicht mehr wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO einstellen oder von der Strafverfolgung unter Auflagen nach § 153a StPO absehen. Auch eine Erledigung mit einem Strafbefehl ohne Hauptverhandlung ist nicht mehr möglich. Oft ist die Staatsanwaltschaft gezwungen, Anklage zu erheben. Eine Einstellung des Verfahrens wegen Kinderpornografie ist laut geltendem Recht nicht mehr möglich. Selbst der Besitz einer einzigen Datei kann damit die Existenz ruinieren. Lehrern, Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst droht die Entlassung aus dem Dienstverhältnis. Ärzte können ihre Zulassung oder Approbation verlieren.

Wir alle wissen um die unkontrollierbare Entwicklung der sozialen Medien und die oft undurchschaubaren Mechanismen des weltweiten Netzes. So können legale pornografische Darstellungen durchaus von inkriminierten kinderpornografischen Dateien begleitet sein, ohne dass wir das wissen und vermeiden können. Wird es zufällig entdeckt, kann sofort der verschärfte § 184b StGB greifen. Und es erfordert zeitaufwändige Untersuchungen von Cyber-Spezialisten, um Vorwürfe zu entkräften und die betroffenen Personen zu rehabilitieren. Als Anwältin für Sexualstrafrecht, die solche Problemstellungen häufig auf den Tisch bekommt, frage ich mich, wie hilflos und praxisfern die deutsche Gesetzgebung hier agiert.

 

Die Entmündigung der Strafrechtsbehörden

Der Gesetzgeber scheint jedes Augenmaß verloren zu haben. Vor dem Hintergrund der spektakulären Missbrauchsfälle von Staufen, Bergisch Gladbach, Lüdge, Münster und dem Druck der Öffentlichkeit, nicht zuletzt einer oft reißerischen und unreflektierten medialen Berichterstattung und entsprechenden vernunftfernen Reaktionen in der Politik, ist eine Gesetzeslage entstanden, die eine besonnene und realitätsnahe gesetzgeberische Einschätzung des heiklen und gesellschaftlich brisanten Themas Kinderpornografie offensichtlich verhindert hat.

So hat sich der Staat, um härtere Strafen und eine präventive Wirkung zu erreichen, dazu verleiten lassen, durch die Verschärfung des Kinderpornografie-Paragraphen den Strafverfolgungsbehörden bewusst die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung aus der Hand zu nehmen. Der Staat hat damit im Grunde seine eigenen Organe entmündigt und offensichtlich wenig Vertrauen in das Urteilsvermögen von Richtern, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden.
Der Gesetzgeber reglementiert damit ohne Rücksicht auf Verluste. Man möchte meinen, das sei bereits eine Form von Kapitulation gegenüber den brisanten Themen. Warum, fragt man sich, stellt sich der Staat nicht dem, was tatsächlich in unserer Gesellschaft und medialen Welt passiert? Und warum unterlässt er es, seine Möglichkeiten stärker zu nutzen, der Verrohung von Gesellschaft, Schule und Medien gezielt entgegenzuwirken, in dessen Kontext auch Kinderpornografie zu einem echten Problem geworden ist.

 

Staatlich verordnete Hilflosigkeit

Gerade ist das Buch der Schulleiterin Silke Müller erschienen, die unter Kindern einen solchen alarmierenden Prozess der Verrohung feststellt. Sie spricht davon, dass unter Kindern pornografische, rassistische, gewaltverherrlichende Inhalte auf erschreckende Weise geteilt werden. Sie wendet sich deshalb in einem dringenden Appell an Eltern, Gesellschaft und Staat und fordert zum Handeln auf. Der Titel des Buchs: „Wir verlieren unsere Kinder! Gewalt, Missbrauch, Rassismus – Der verstörende Alltag im Klassen-Chat.“

Man kann sich gut vorstellen, was für ein Hindernis der Kinderpornografie-Paragraph § 184b StGB angesichts der strafrechtlichen Risiken bedeutet, in die sich jede Frau und jeder Mann begibt, wenn sie oder er tatsächlich Zivilcourage an den Tag legt.
Für Staatsanwält:innen, Richter:innen und Fachanwält:innen, aber auch von Strafverfolgung Betroffene ist eine frustrierende Lage entstanden. Es herrscht staatlich verordnete Hilflosigkeit. So erscheint aktuell im Falle einer Anschuldigung nach § 184b StGB bedauerlicherweise nicht selten der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens als einzig vernünftiger vorläufiger Ausweg.
Dem Fachanwalt, der als Anwalt für Kinderpornografie engagiert wird, bleibt mitunter bei aktuell anhängigen Fällen nichts übrig, als dem Mandanten zu raten, einen solchen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zu stellen bis eine endgültige Klärung erreicht ist. Bei Verurteilungen in der I. Instanz ist angeraten Berufung einzulegen, um im Rahmen eines Berufungsverfahrens von einem hoffentlich besseren Gesetz profitieren zu können. Die Aussicht darauf besteht jedenfalls.

 

Das vorläufige Scheitern der Vernunft.

Dass selbst ein zu langsames Löschen von inkriminierten Dateien dazu führt, dass man als Belästigungsopfer vor Gericht steht, mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis bedroht ist und keine Möglichkeit der Bewährung besteht, sorgt selbst bei Staatsanwält:innen für Unmut. "Wir halten uns natürlich an das, was der Gesetzgeber verlangt, aber was wir hier machen müssen, das liegt den Kollegen auf der Seele - und mir auch", teilte der Hamburger Oberstaatsanwalt Michael Abel der Süddeutschen Zeitung mit. Das verschärfte Gesetz von 2021 führe zu einer Schwemme von unnötigen Strafverfolgungsfällen, die ratlos und traurig machen. „Auch Eltern, die Nacktbilder ihres eigenen Nachwuchses auf dem Handy speichern, können betroffen sein.“1
Der verschärfte Kinderpornografie-Paragraph wird mittlerweile von vielen Juristen, sowohl von Strafverteidigern als auch von Staatsanwälten und Richtern als verfassungswidrig erachtet. Robert Grain, Richter am Amtsgericht München, hat in diesem Sinne die fehlende Einstellungsmöglichkeit des § 184b StGB dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung im Wege der konkreten Normenkontrolle vorgelegt. (Nur Richter haben die Möglichkeit, im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle eine Norm vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.)
Dem Verfahren liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Kind ein Nacktbild an ein anderes Kind versandte und die Mutter dieses zur Warnung an weitere Eltern schickte.
Um Sie nicht mit dem umfänglichen Vorgang zu ermüden, die mit den hohen Anforderungen an ein solches Verfahren verbundenen Ausführungen des Münchner Amtsrichters und der Erwiderung des Bundesverfassungsgerichts einhergehen, hier kurz, welche Punkte Robert Grain verargumentiert. Er sieht

  • einen Verstoß gegen das sog. „Übermaßverbot“, gemeint ist das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit,
  • einen Verstoß gegen das Schuldprinzip, insofern keine angemessene Verhältnismäßigkeit zwischen einem "harmlosen", einen "normalen" und einen "krassen" Fall herstellbar sei
  • sowie einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit, da Verfahrenseinstellung nicht möglich und somit eine Eintragung in das polizeiliche Führungszeugnis nicht mehr vermieden werden kann. Dabei stelle sich die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung des Angeklagten eine Einwirkung auch auf dessen berufliche Existenz unumgänglich sei. Es geht dabei um die fehlende Normierung eines minder schweren Falles, um dem Unrechtsgehalt entsprechender Taten angemessen begegnen zu können.

Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts ist so ausführlich wie bitter, juristisch spitzfindig und bestätigt die mangelnde Einsicht und Berücksichtigung der Realitäten. Nur so viel: Mit Beschluss vom 03. März 2023 - 2 BvL 11/22 wurde der Antrag abgelehnt.2
Doch es besteht dennoch Aussicht auf Änderung.

 

Der Hoffnungsschimmer aus dem Bundesministerium

Organe der Strafverfolgung, 16 Landesjustizminister, Rechtspolitiker aller Parteiencouleur und Innenministerin Faeser fordern gerade, die Strafandrohung des § 184b StGB wieder rückgängig zu machen. Das lässt hoffen: Immerhin kommt es selten vor, dass selbst Vertreter der Unionsparteien eine mit den eigenen Stimmen beschlossene Strafrahmenerhöhung für verfehlt halten. Argument: Sie sei praxisuntauglich. Das BMI will dazu nun bis Ende des Jahres einen Vorschlag präsentieren.

In einem Vorwort der bald erscheinenden Juni-Ausgabe des juristischen Fachblattes „Strafverteidiger“ bekräftigt die Frankfurter Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler die Kritik an der Verschärfung des Kinderpornografie-Paragraphen stellvertretend für viele Strafverfolger und spricht aus, was viele KollegInnen denken: "In einer immer digitaler werdenden Gesellschaft, in der das gedankenlose Weiterleiten jeglicher Inhalte gerade durch Jugendliche an der Tagesordnung ist, trifft die Regelung des § 184b StGB in einer Vielzahl der Fälle nicht das eigentliche Klientel". Stattdessen würden Schüler, Eltern und LehrerInnen als Verbrecher stigmatisiert und die Strafverfolgungsbehörden zum Einsatz ihrer ohnehin knappen Ressourcen gegenüber Personen gezwungen, "die offensichtlich nicht aus einer pädokriminellen Absicht heraus handeln."3

Bundesinnenministerin Nancy Faeser selbst hat sich für eine Entschärfung des Sexualstrafrechts ausgesprochen. Die SPD-Politikerin sagt gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe „Eine Strafverschärfung hat dazu geführt, dass Jugendlichen empfindliche Strafen drohen, wenn sie untereinander Nacktbilder austauschen … Hier ist es wichtiger, ein Bewusstsein für die Risiken zu schaffen, wenn man privateste Dinge teilt, als mit harten strafrechtlichen Sanktionen vorzugehen.“4

 

Bessere Prävention statt höherer Strafen

Mit anderen Worten: Endlich geht es bei dem Thema der Verschärfung des Kinderpornografie-Paragraphen auch auf ministerialer Ebene voran. Welche rechtstechnische Variante nun konkret vorgeschlagen wird, bleibt abzuwarten. Die in dem einschlägigen Deliktsbereich erfahrene Staatsanwältin Bussweiler findet hierzu klare Worte: "Für die Täter hat auch der frühere Strafrahmen ausreichend Spielraum belassen, um eine tat- und schuldangemessene Verurteilung auszusprechen und um insbesondere bei niedrigschwelligen Schutzgutverletzungen adäquat und unter Berücksichtigung der Interessen aller Verfahrensbeteiligten zu reagieren." Es stehe zu wünschen, so Bussweiler, "dass der Gesetzgeber, statt aufgeschreckt von der Boulevardberichterstattung reflexartig nach höheren Strafen zu rufen, das Vertrauen in die Justiz zurückgewinnt und sich stattdessen den immer noch ungeregelten Problemfeldern der Vorratsdatenspeicherung, des Ausbaus von Präventionsangeboten, der engeren behördlichen Zusammenarbeit und der adäquaten personellen und sachlichen Ausstattung von Polizei, Justiz und Jugendhilfeeinrichtungen widmet."5
Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

 

 

Quellen

1 Vorlage an Bundesverfassungsgericht: Amtsrichter hält Kinderpornographie-Norm für verfassungswidrig . In: Legal Tribune Online, 10.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49833/ (abgerufen am: 07.05.2023 ) 

2 Bekämpfung von Kinderpornografie: BMI arbeitet an Entschärfung im Sexualstrafrecht . In: Legal Tribune Online, 19.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51581/ (abgerufen am: 07.05.2023 ) 

3 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/faeser-fuer-entschaerfung-des-sexualstrafrechts-18806276.html, vom 7.04.2023, vom 7.04.2023, (abgerufen 7.05.2023) 

4 ebd. 

5 ebd.