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    Anne Patsch

    Die erfolgreiche Strafverteidigerin
    gegen alle Anschuldigungen von
    Sexualdelikten. Bundesweit.

     
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    Die Wendung zum Guten
    fußt auf Vertrauen.

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    Kleine Unterschiede
    bestimmen den Erfolg!

Über eine „exhibitionistische Lügnerin“ und das Dilemma des Opferschutzes

Opferschutz ist gut gemeint, kann aber auch das Gegenteil bewirken. Vor allem, wenn er als Opferjournalismus auftritt und so wenig reflektiert daherkommt wie in einem Artikel im Tagesspiegel vom 25.07.2020. Die Journalistin Klaudia Füchsel zieht in dem Beitrag alle Register, um Stimmung zu machen gegen das Versagen der Behörden und Gerichte beim Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen. Ihre Darstellung allerdings ist hochemotional und wenig kritisch, was das vermeintliche Opfer angeht. Den Anstrich von Objektivität versucht sie durch den renommierten Berliner Opferschutzbeauftragten Roland Weber zu vermitteln, der bei diesem Fall in der zweiten Instanz als Nebenkläger auftrat und nach dem verlorenen Verfahren grundsätzliche Versäumnisse bei Behörden und Gerichten ausmacht. Weber ist auf diesem Gebiet eine ausgemachte moralische Instanz. Er sieht in dem Fall ein „Paradebeispiel“, das „verdeutliche, warum es bei sexuellen Gewalttaten so selten zu einer Verurteilung der Beschuldigten komme.“ Und doch gewinnt man bei näherem Hinsehen den Eindruck, dass die Anwaltschaft für das Opfer den Blick auf die tatsächlichen Ereignisse getrübt hat.

 

Eine alkoholisierte Nacht

1neuNicht zur Sprache in diesem Artikel kommt — weder bei Füchsel noch bei Weber – dass die Anschuldigung möglicherweise nicht ganz so zutreffend war und das Ergebnis einer alkoholvernebelten Nacht darstellte. Vielleicht war es ja so, dass die betroffene Frau den Sex im Nachhinein nicht wollte, eventuell in einer verkaterten schiefen subjektiven Wahrnehmung der Ereignisse. Was im Übrigen angesichts meiner Erfahrung auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts nicht selten vorkommt und wofür es auch in Frau Füchsels Darstellung des angeblichen Opfers einige Hinweise gibt – sofern man genau hinsieht.

Nach der abgewiesenen Klage in zwei Instanzen, so zitiert Füchsel das angebliche Opfer, sei sie sich wie eine „exhibitionistische, alkoholabhängige, psychisch kranke Lügnerin“ vorgekommen. Verhalten und Selbstdarstellung der Frau deuten darauf hin, dass diese Wahrnehmung viel mit dem zu tun hat, wie sie sich selbst im Verfahren präsentierte. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sie hier widerspiegelt, was sie im Grunde über sich selbst wiedergibt und denkt.

Wovon wir ausgehen können. Es muss eine wilde, alkoholgetränkte Nacht gewesen sein. Alicia (ich folge bei den Namen den geänderten Namen im Artikel) kam im Dezember 2018 aus Berlin nach Frankfurt, um in einer Filiale ihres Arbeitgebers auszuhelfen. Dort trifft sie den Kollegen Sven, einem 21 Jahre alten Studenten. Nach der Arbeit ziehen beide durch die Nacht. In einer Bar holt sie den dreißigjährigen Andy an den Tisch. Sie reden, lachen, trinken Schnaps. Gegen 3 Uhr bietet sie Andy und Sven an, bei ihr im Hotel zu übernachten. Wie sie sagt, unter der Bedingung, dass „da nichts laufe“. Sie kenne das so. Durchfeiern bis man bei irgendeinem Kumpel den Rausch ausschläft. Endlich nach einem Imbiss in einem türkischen Laden, während sich Sven und Andy einen Joint teilen, schleichen sie sich ins Hotel, legen sich gegen 6.30 Uhr ins einzige Bett und schlafen ein. Der aufnehmende Beamte notiert in diesem Zusammenhang: „Aufgrund dem nach eigenen Angaben der Geschädigten und des Zeugen nicht unerheblichen Alkoholkonsums gestaltete sich die Schilderung der genauen zeitlichen Abfolge sowie der Wege (vor der Tat) insgesamt schwierig.“

 

Wer ist hier glaubhaft?

Klägerin Alicia und Beklagter Andy haben eine unterschiedliche Wahrnehmung, was den Vorwurf der Vergewaltigung angeht. Nicht bestritten ist, dass Andy gegen 8.50 Uhr sein Glied ohne Kondom von hinten in Alicias Vagina einführte. Die Geschädigte gibt an, dass sie zu diesem Zeitpunkt tief geschlafen habe. Andy behauptet, dass sie lügt und der Geschlechtsverkehr in beiderseitigem Einverständnis vollzogen worden sei.

Fest steht, dass Alicia fluchend aus dem Bett sprang und davon nun auch Sven erwacht. Alicia verschwindet im Bad, während Andy sich anzieht, sie kurz umarmt und das Hotel verlässt. Auf dem Teppichboden und im Bett entdeckt Alicia Plastikfläschchen aus dem Bad für Primer, Waschcreme und Shampoo, die Andy offenbar als Gleitmittel benutzte.

Nach ihrer Aussage setzt sie sich ratlos auf den Boden. Sie habe nicht gewusst, ob sie perplex oder schockiert ist, habe das Geschehene nicht wahrhaben wollen. „Mir war noch gar nicht klar, was da passiert ist“, sagt sie. Es ist nicht sie, sondern Sven, der das Wort Vergewaltigung ausspricht.

Als Zeuge vor dem Amtsgericht berichtet der Beamte von einem „klaren strukturierten Gespräch“, in dem die Zeugin keine Emotionen wie Scham, Angst, Trauer, Hass oder Wut zeigte oder Schwierigkeiten gehabt hätte, zu sprechen. Keine zerrissene Kleidung, keine blauen Flecken an den Oberschenkeln. „Frau Fuhrmann war nicht das typische Vergewaltigungsopfer. Sie stand nicht unter Schock. Ich hätte eine andere Reaktion erwartet. Sie hat nicht nach einer Dusche gefragt.“ Der Beamte informiert daraufhin das Fachkommissariat und schickt das mutmaßliche Opfer in die Universitätsklinik.

Andy erklärt in der schriftlichen Einlassung seiner Verteidigerin: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt gegen den Willen von Frau Fuhrmann Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeübt“. Alicia habe den ganzen Abend mit ihm geflirtet, bevor sie im Hotel in seinen Armen einschlief. Er sei erwacht, als sie seinen Oberschenkel streichelte und anfing mit dem Becken zu kreisen und ihr Gesäß an seinen Lendenbereich drückte. Weil sein Glied nicht vollständig erigierte, sei er ins Bad gegangen und habe mit den Cremes nachzuhelfen versucht. Es sei ihm peinlich gewesen, sagt er, „dass ich nicht richtig meinen Mann stehen konnte“.

Als es zum Geschlechtsverkehr kam, sei Alicia etwa nach einer Minute aufgesprungen. Bis heute verstehe er nicht, warum sie ihm eine Vergewaltigung vorwirft. „Ich habe mal gedacht, dass sie so schräg reagiert hat, weil ich es im Bett nicht richtig gebracht habe.“

 

Aussage steht gegen Aussage

So weit die beiden gegensätzlichen Sichtweisen. Aussage steht gegen Aussage. Die anwesende dritte Person kann zur Tat keine Angaben machen. Es bleibt wie immer in einem solchen Fall nur eine Bewertung der Ereignisse nach der Glaubhaftigkeit der Aussagen mit den Mitteln der Aussagepsychologie.

Das Gericht hält den Angeklagten für glaubhaft. Die Klage wird in zwei Instanzen abgewiesen. Als erfahrene Strafverteidigerin auf diesem Gebiet kann ich dem nur zustimmen. Es scheint sich bei Alicia um ein ausgesprochenes Feierbiest zu handeln. Die beiden Herren Andy und Sven scheinen ihr gegenüber eher harmlos zu sein, allenfalls vom Rausch der Nacht überwältigt. Alicia spricht davon, dass ihre abendlichen Begleiter wohl keine Ahnung davon gehabt hätten, wie man richtig feiert.

Andy fühlte sich offenbar dazu aufgefordert, mit Alicia Sex zu haben. Kann sein, dass er sich das Beckenkreisen einbildete? Für seine Wahrnehmung spricht, dass er Hilfsmaßnahmen ergriff, um sozusagen seinen Mann zu stehen. Ob nun die männliche Eitelkeit ihn dazu verleitete, sei dahin gestellt. Eine vergewaltigende Absicht geht daraus nicht hervor, allenfalls eine Art unglücklicher Verwirrtheit – möglicherweise auf beiden Seiten der Beteiligten.

Als Argument dafür, dass das Gericht in zwei Instanzen falsch lag, zieht die Journalistin die kritischen Bemerkungen des Opferanwalts heran. Er sieht „Fehler“ in der Aufnahme der Geschehnisse durch die Polizei, die er als „Fehler des Systems“ ausmacht, bei dem schlecht geschultes Personal und mangelndes technisches Equipment eine tragende Rolle spielen.

 

Bei der Polizeiarbeit wurden Fehler gemacht

2Es stellt sich nun in diesem Fall die Frage, ob eine besser organisierte Polizei und ein erfahrenerer Polizist sowie eine technisch optimale Aufnahmegeräte die Einschätzung realistischer und objektiver gemacht hätte, wie das Roland Weber einfordert. Auch aus meiner Sicht als Strafverteidigerin würde ich es durchaus befürworten, wenn besser geschultes Personal und bessere technische Möglichkeiten bei Anzeigen wegen Sexualdelikten deutschlandweit vorhanden wären. Dann aber sollte die Schulung auch eine psychologische Schulung zum Thema subjektive Wahrnehmung, Projektionen usw. einschließen sowie ein Bewusstsein für die schwierige Situation, in der ein vermeintliches Opfer einen vermeintlichen Täter anschuldigt, ohne das Opfer gleich in seiner Opferrolle zu akzeptieren.

Sicher hatte es der Beamte versäumt, Alicia am Telefon darauf hinzuweisen, wie im Artikel angemerkt wird, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Zimmer nicht gereinigt wird. Erst als sie gegen 11.20 Uhr im Revier eintrifft, ruft der Polizist im Hotel an, um den Tatort zu sichern.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob im Fall Alicia ein generelles Fehlverhalten von Behörden und Gerichten zu konstruieren sei, wie das Roland Weber tut. Der Opferbeauftragte Roland Weber sieht den Ausgang des Verfahrens als ein Ergebnis des nicht hinreichend kompetenten Beamten bei der Aufnahme der Anzeige. Die Konstellation aus traumatisierter Frau und ungeschultem Beamten zu Beginn sei fatal. Weber sagt: „Das ist die häufigste Fehlerquelle“. Die Widersprüche, die auf diese Weise in die Akten gerieten, seien Gift für das oft wichtigste Indiz: die Glaubwürdigkeit des Opfers. Das sei einer der Gründe dafür, dass ein großer Teil der Verfahren wegen Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mangels Tatverdacht wieder eingestellt würde.

Eine Traumatisierung von Alicia ist allerdings nirgends zu erkennen. Man kann Herrn Weber nur entgegnen, dass es heutzutage eher zu häufig passiert, dass bei der Aufnahme von Anzeigen den vermeintlichen Opfern geglaubt wird – und zwar bis in den Gerichtssaal hinein. Die Täter-Vermutung, die das Vorgehen von Polizei und Gericht gegenüber den Beschuldigten leitet, ist da weitaus häufiger. Es ist dann eher die mühsame Aufgabe des Strafverteidigers, dieser vorgefassten Meinung mit den Mitteln der Aussagepsychologie entgegenzuwirken.

 

Auch Opferjournalismus kann Frauen zu Opfern machen

Es lässt sich deshalb bezweifeln, inwiefern die Darstellung der Journalistin ihrer Absicht, die Interessen der Frauen zu vertreten und sie als Opfer zu schützen, einen Gefallen tut. Selbstverständlich steht es mir nicht zu, trotz meiner Erfahrung als Anwältin auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts die Ereignisse abschließend zu bewerten, auch wenn es reichlich Hinweise dafür gibt, dem Gericht zu folgen. Bedenklich allerdings erscheint mir die Form der Berichterstattung: ein tendenziöser Opferjournalismus, der auf eine emotionale Inszenierung der Frau als Opfer abzielt und die moralische Instanz eines renommierten Opferanwalts bemüht, dessen Argumente eher pauschaler Natur sind, als dass sie auf den konkreten Fall eingehen. Hier wird wenig reflektiert und stattdessen hochemotional ein bemitleidenswertes Beispiel einer Frau inszeniert, die sich von der Polizei und der Gerichtsbarkeit zum Opfer gemacht fühlt und zur „exhibitionistischen, alkoholabhängigen, psychisch kranken Lügnerin“ herabgewürdigt sieht. Ich kann nur wiederholen: Diese Wahrnehmung entspricht zum großen Teil wohl eher dem, was sie über sich selbst denkt. In gewisser Weise hat sich Alicia hier selbst zum Opfer gemacht. Bleibt mir nur anzumerken: Diese Form von doch einseitigem Journalismus kann das Gegenteil dessen bewirken, was intendiert wird. Durch solche Artikel werden Frauen eher abgeschreckt, eine tatsächliche Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen. Es sind solche journalistischen Beiträge, die Frauen alles andere als ermutigen, für sich selbst einzutreten. Ich kann alle Frauen nur darin bestärken, sich der Opferrolle zu entledigen. Das bringt mehr als die ganze #MeToo-Debatte.