Kinderpornografie auf dem Computer
Warum Sie nicht nur einen Rechtsbeistand, sondern auch einen IT-Experten brauchen.
Kinderpornografie ist ein hochemotionales Thema und wird zu Recht mit hohen Strafen belegt. Was in der aufgeheizten Stimmung nach Lügde und Bergisch-Gladbach aber oft außen vor bleibt, ist, dass der bloße Verdacht noch lange keine Schuld bedeutet. Es gibt einfach zu viele Fälle, bei denen sich herausstellt, dass die Anschuldigungen haltlos sind. Und dann ist es für Betroffene meist zu spät.
Schon der bloße Verdacht kann zur existentiellen Bedrohung werden
Ein Beispiel, das zeigt, wie schnell so etwas gehen kann: In England entstand 2017 aus einer Ziffer zu viel in einer IP-Adresse der Verdacht auf den Besitz und die Verbreitung kinderpornografischer Bilder, der dem Betroffenen, Familie und Beruf ruinierte, selbst als die falsche Beschuldigung längst festgestellt war. ¹
Die Strafverschärfung und aufgeladene Stimmung in der Öffentlichkeit kann für Beschuldigte, selbst wenn sich ihre Unschuld herausstellen sollte, schnell zum existentiellen Problem werden.
Schon der bloße Verdacht auf den Besitz und die Verbreitung entsprechender Bilder ist hochgefährlich.
Er löst oft eine Lawine an Verleumdung und Diskreditierung bis hin zur existentiellen Bedrohung aus. Die Anschuldigung kreiert sofort eine Fallhöhe, die auch den besten Leumund vernichten und stabile Persönlichkeiten in ein tiefes Loch der Depression stürzen lässt.
Rechtsanwalt und FDP-Politiker Stefan Kubicki forderte deshalb aus Anlass des Falls Metzelder zur Vorsicht und einer fairen Vorgehensweise, da der Verdacht auf Kinderpornografie „eine lebenslange Stigmatisierung zur Folge hat“. ²
Es wird in die öffentliche Debatte zu wenig einbezogen, wie schnell es fast jedem von uns passieren kann, dass kinderpornografisches Material auf dem Computer oder Handy unbeabsichtigt und ungewollt landet. Immer wieder ergeben sich auch in meiner täglichen Praxis Fälle, in denen Anschuldigungen erhoben werden, die sich als haltlos herausstellen. Oft sind es die Mechanismen und die Eigendynamik des Internets, die zu einem Verdachtsfall führen. Dazu kommen Fälle, in denen kinderpornografische Inhalte untergeschoben wurde, um in Scheidungsprozessen und Sorgerechtsfällen die eigene Position zu verbessern.
Das große Problem dabei: Sofort finden im Verdachtsfall Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Computern und Mobiltelefonen statt. Die innerfamiliäre und gesellschaftliche Ächtung nimmt ihren Lauf. Mit der von Kubicki geforderten Fairness ist weder auf Seiten der Öffentlichkeit und noch auf Seiten der Behörden nicht zu rechnen.
Aufklärungsarbeit und Wahrheitsfindung werden allzu oft zur Angelegenheit der Strafverteidigung. Und was dann nur helfen kann, ist nicht nur ein versierter Rechtsbeistand, sondern ein ebenso versierter IT-Experte.
Der Fluch der Algorithmen
Es sind nicht in der Regel – wie vielleicht mancher vermuten würde – Cyberangriffe, die kinderpornografisches Material auf Computern und Handys platzieren. Vielmehr ist es oft Unwissenheit und Unachtsamkeit, die dazu führt, dass kompromittierendes Material ohne unser Wissen auf unseren Rechnern landet. Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht gering, dass Fotos gefunden werden, die bei uns im Cache gelandet sind, ohne dass es unsere Absicht war. Wer eine Website besucht, hat nicht den kompletten Überblick, was sich dort im Hintergrund alles abspielt. Inhalte können sich auf unserem Rechner vorfinden, ohne dass wir es wollen und wissen. Browser arbeiten so, dass ohne Vorsatz, unwissentlich und zufällig Vorschau-Bilder implementiert werden können und im Cache landen.
Deshalb ist es keinesfalls abwegig, dass plötzlich aus heiterem Himmel die Kripo vor der Tür steht, die in der digitalen Fahndung nach dem Besitz und der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte kräftig aufgerüstet
hat. So hatte die anlassunabhängige Recherche des BKA einen Tauschbörsennutzer ausfindig gemacht, der angeblich illegales Material anbot. Später stellte sich heraus: Das Telekommunikationsunternehmen des Beschuldigten hatte schlampig agiert und bei der Zuordnung der IP-Adresse einen Fehler gemacht. Nur akribische Recherchen konnten den falschen Kinderporno-Verdacht aufklären. Aber bis es dazu kam, hatte die Kriminalpolizei die Wohnung des Unschuldigen durchsucht, die Computer beschlagnahmt und die Familie und Freunde in Aufruhr versetzt. ³
Nicht immer gehen solche Verfahren am Ende einigermaßen glimpflich aus. Schon der Tatbestand des Besitzes von Kinderpornografie ist für Staatsanwälte meist maßgebend für eine Anklage, bevor die Hintergründe wirklich durchleuchtet werden. Und es wird allzu oft nicht dokumentiert, woher und auf welche Weise die Bilder auf einem Rechner gelangt sind.
Umso wichtiger ist es dann für die Verteidigung, die verborgenen Wege im Netz zu recherchieren, die Fotos heute gehen. Selbst wenn sie gelöscht werden, sind Forensiker in der Lage, solche Bilder nachzuweisen.
Digitaler Spürsinn für die Grenzräume des Internets
Dass kinder- und jugendpornografische Inhalte sich ungewollt auf unserem Rechner vorfinden, kann zufällig geschehen, aber auch insbesondere dann, wenn man sich in Grenzräumen des Internets bewegt.
Werden Suchbegriffe eingegeben, um sich pornografische Inhalte anzusehen oder diese herunterzuladen, können unter den Ergebnissen auch Bilder fallen, die als Kinder- und Jugendpornografie einzustufen sind, auch wenn in keiner Weise die Absicht bestand, solche Darstellungen zu erhalten.
Geschieht dies, bedeutet das nach dem Gesetz „Besitz von Kinderpornografie“ und ist eine strafbare Handlung, die angesichts der Strafverschärfung empfindliche Strafen nach sich ziehen kann. Werden von dritten Personen entsprechende Fotos zugeschickt, ist auch das augenblicklich Besitz. Werden solche Fotos weitergeleitet, um sie möglicherweise einem Freund oder einer Freundin zu zeigen, im Sinne von „Schau mal, was ich da geschickt bekommen habe.“, ist das bereits Verbreitung.
Wie gesagt, es gibt einige Gerichte und Staatsanwälte, für die alleine der Sachverhalt des Besitzes von Kinder- und Jugendpornografie zählt. Für sie ist nicht maßgebend, ob etwa unter 1000 Bildern zufälligerweise 10 Kinderpornos gelandet sind, auch wenn diese sich ungewollt im Container vorfinden und automatisch in der Vorschauseite heruntergeladen wurden.
Für die Behörde stellt sich der Sachverhalt so dar: Eine Person hat Bilder im Besitz, Punkt. Auswertungsberichte, die über die Umstände genaueren Aufschluss bieten, finden sich in der Akte nicht vor, die Größe der Bilder ist nicht dokumentiert, es ist nicht beschrieben, wo die Dateien abgelegt sind bzw. ob es sich um Vorschau- Bilder oder um Bilder in hoher Auflösung handelt. Die Anklageschriften vermerken oft nur die Anzahl der Bilder und geben keine Auskunft über genaue Umstände und Verhältnisse.
Ungewollt im Besitz von Kinderpornographie
Leider gibt es keine Zahlen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ungewollt in den Besitz strafwürdigen Materials zu gelangen. Ob es sich um eine Person handelt, die Spaß an Pornografie hat oder um einen „Pädophilen“. Es hängt dann von der Person des Staatsanwalts ab, welchen Verlauf die Sache nimmt und wie die Sache ausgeht. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass man sich nicht erinnern kann und keine Ahnung hat, wie solche Bilder im Cache gelandet sein können.
Das Instrument der Strafverteidigung besteht dann allein darin, die Absichten des Beschuldigten etwa anhand des Umfangs des Materials und der näheren Umstände objektivieren zu können. Und das kann nur der IT-Experte bzw. ein versierter digitaler Forensiker. Nur er kann erkennen, ob Megadownloads vorgenommen wurden, entsprechende Software installiert wurden, inwiefern Registrierungen stattfanden, ob das Material gegen Geld erworben wurde.
Erfolgreiche Abwehr von Anklagen durch Rechtsbeistand und IT-Experten
Genau auf diese Weise konnte ich als Verteidigerin auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts mit Hilfe unseres hauseigenen IT-Fachmanns mehrere fast aussichtslose Anklagen in Münster, Rosenheim und Stuttgart abwehren, die nicht nur den Besitz, sondern auch die Verbreitung von Kinderpornografie vorwarfen.
Erst die forensische Einschätzung unseres IT-Experten konnte plausibel machen, dass Besitz wie Verbreitung unwissentlich und ungewollt geschahen. Unser Spezialist konnte nachweisen, dass es sich nicht um hochauflösendes Bildmaterial, sondern um kleine Vorschau-Bilder handelte und dass keine Kreditkarten-Zahlungen erfolgten.
Er konnte in dem Verfahren in Münster überzeugend darstellen, dass entsprechende Bilder unkoordiniert und unregelmäßig auf dem Onlinedienst Flickr landeten, und es absolut davon auszugehen war, dass bei meinem Mandanten keine pädophilen Absichten bestanden.
Dass Freunde erwachsener Pornografie nicht pädophil, sondern allenfalls pornosüchtig sind, bestätigt die Schweizer Psychologin Monika Elli Alge, Gründerin und Leiterin eines Instituts, dessen Schwerpunkt die psychotherapeutische Behandlung von Pädophilen ist. In der NZZ führt sie aus, dass in der Regel Personen, die gerne im Internet Pornos kucken, sich von Kinderpornographie nicht angezogen fühlen: „Bei den Pornokonsumenten handle es sich oft um Männer, die eine Sucht entwickelt hätten und auf der Suche nach immer härteren Kicks seien. Irgendwann landeten sie dann bei den verbotenen Kinderbildern. Viele horteten Tausende und Abertausende von einschlägigen Dateien auf
ihren Computern. Würden sie schließlich erwischt und bestraft, verliere die Kinderpornografie ihren Reiz für sie oft sehr schnell.“ ⁴
Bedauerlicherweise ist unterm Strich festzuhalten: Nur digitale Fachkompetenz auf Seiten der Strafverteidigung ist in der Lage, solche Vorgänge transparent zu machen. Nur der erfahrene IT-Experte kann hier weiterhelfen und einer Anwältin oder einem Anwalt auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts die Argumente liefern, den wahren Sachverhalt zu klären und eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken.
Quellen:
1 Siehe https://futurezone.at/digital-life/wie-ein-falscher-kinderporno-verdacht-ein-leben-zerstoerte/ 252.167.484
2 Spiegelpanorama: Haltetein! Vom 12.09.2019. https://www.spiegel.de/panorama/justiz/vorwuerfegegen-christoph-metzelder-haltet-ein-kolumne-von-thomas-fischer-a-1286383.html
3 Vgl. https://www.heise.de/newsticker/meldung/IP-Verwechslung-fuehrt-zu-falschem-Kinderporno-Verdacht-190592.html.
4 NZZ vom 16.10.2019.