Reform Sexualstrafrecht: Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung im Bundestag verabschiedet
Gina-Lisa Lohfink, Silvesternacht von Köln und die scheinbar einfache Formel „Nein heißt Nein“– darüber ist in diesem Jahr 2016 schon viel geschrieben worden. Jetzt ist es soweit: Am 7. Juli 2016 hat der Bundestag seinen Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Im September muss das Gesetz noch durch den Bundesrat, mit seinem Inkrafttreten wird man also im Herbst rechnen können.
Welche Änderung im Sexualstrafrecht wurde beschlossen?
Das „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ führt zunächst einen neuen Tatbestand in § 177 StGB – den bisherigen „Vergewaltigungsparagraphen“ - ein. Bisher musste der Täter, um sich strafbar zu machen, das Opfer durch Gewalt, Drohung für Leib und Leben oder durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen oder deren Duldung nötigen. Geschlechtsverkehr bzw. Eindringen - wohlgemerkt nicht nur in Körper des Opfers, sondern auch in den des Täters – führte zu einer schärferen Strafe. Außerdem gibt es noch Mindeststrafen für besondere Umstände oder Folgen der Tat, wie das Verwenden von Waffen oder schwerwiegende Gefahren für das Opfer. Das alles bleibt auch genauso erhalten.
Im Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts kommt nur der „sexuelle Übergriff“ dazu, der mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist, was gegenüber dem alten Strafmaß von einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zurückbleibt. Dementsprechend ist aber auch die Strafbarkeitsschwelle deutlich niedriger: Es genügt, wenn der Täter „gegen den erkennbaren Willen“ des Opfers gehandelt hat. Wenn es unter diesen Umständen zum Geschlechtsverkehr kommt oder die anderen erschwerenden Umstände vorliegen, öffnet der sexuelle Übergriff aber auch den Weg zu jeweils schwereren Bestrafungen.
Drohende Schwierigkeiten für die Praxis
Wann aber hat der Täter „gegen den erkennbaren Willen“ des Opfers gehandelt? Wann hat er „Nein“ gehört und musste „Nein“ verstehen? Diese Frage werden deutsche Richter bald beantworten müssen und dabei noch stärker mit den besonderen Herausforderungen des Sexualstrafrechts zu kämpfen haben.
Sexualstrafrecht als besonderer Rechtsbereich
Schon heute verlaufen diese Verfahren alles andere als „normal“ und man muss sich manchmal fragen, ob strafprozessuale Grundsätze, wie die Unschuldsvermutung, wirklich überall gleich gelten.
Es ist kein ausschließliches Problem des Sexualstrafrechts, dass der deutschen Justiz häufig aktuelle Kenntnisse zu Aussagepsychologie und –analyse fehlen. So mancher Richter ist noch heute gegen jede wissenschaftliche Erfahrung davon überzeugt, selbst zu wissen, wenn jemand lügt. Dem zugrunde liegt ein Verständnis der menschlichen Erinnerung als einen Film, der jederzeit unverändert und unbeeinflusst abgerufen werden kann. Im Sexualstrafrecht wirkt sich dieser Umstand aber maximal gravierend aus, weil Taten hier naturgemäß meistens in Eins-zu-Eins-Situationen stattfinden. Bei der Beweisführung steht also besonders oft „Vergewaltigung Aussage gegen Aussage“ und auch andere vermeintlich objektive Beweismittel wie DNA-Proben lassen häufig mehr als nur eine Interpretation zu.
Dann gibt es noch eine weit verbreitete fatale Fehlannahme, die nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Köpfen von Richtern, Staatsanwälten und Anwälten festsitzt: „So etwas denkt sich doch keine Frau aus.“ Wer einem angeblichen Vergewaltigungsopfer unterstellt, es sage nicht die Wahrheit, begeht in manchem deutschen Gerichtssaal eine ungeheuerliche Tat und muss sich moralisch schon fast auf dieselbe Stufe wie ein Täter stellen lassen, obwohl dieses Vorgehen eigentlich die erste Hypothese bei der Bewertung von Zeugenaussagen sein sollte. Der zur Wahrheitsfindung berufene Richter muss sich fragen: „Warum glaube ich das?“ - „So etwas denkt sich niemand aus.“ ist dabei aber falsche Antwort.
Schwierigkeiten mit der Sexualstrafrecht-Reform
„Nein heißt Nein“ setzt den Umfang dessen, was als Tathandlung bewiesen werden muss, noch mal deutlich herab und liefert in Gestalt des „Handelns gegen den erkennbaren Willen“ einen neuen unbestimmten Rechtsbegriff mit erheblichen Abgrenzungsproblemen – was in Verbindung mit den bereits bestehenden Defiziten sexualstrafrechtlicher Verfahren bei der Wahrheitsfindung zu einem höchst giftigen Cocktail werden kann.
Reform Sexualstrafrecht: Grundsätzliches Umdenken nötig
Weder die gewollte Erweiterung des Straftatbestandes um bisher nicht erfasste Handlungsweisen noch die Unbestimmtheit derer sind das eigentliche Problem.
Es ist höchst begrüßenswert, dass Menschen in Zukunft bestraft werden können, wenn sie nach der Prämisse handeln: „Wenn sie ‚Nein‘ sagt, meint sie eigentlich ‚Ja‘“.
Die deutsche Rechtsprechung ist im Grundsatz auch in der Lage Definitionen und Fallgruppen zur Klarstellung zu finden. Allerdings müsste dazu ein Umdenken stattfinden und Sexualstraftaten endlich als das begriffen werden was sie sind: Straftaten, wie andere Tatbestände auch. Wir Juristen haben das Werkzeug, um die Herausforderungen der Sexualrechtsreform zu bewältigen – wir müssen sie nur so einsetzen, wie wir das überall sonst auch tun. Dann kann daraus sogar eine echte Chance für einen längst überfälligen Paradigmenwechsel werden.
Die strukturellen Änderungen im Überblick: