Anne Patsch: Anwalt für Sexualstrafrecht

3 Erfolgsfaktoren meiner Verteidigungsstrategie

Ein Krankenpfleger steht plötzlich unter einem schweren Missbrauchsvorwurf und wird zunächst verurteilt. Im Berufungsverfahren folgt der Freispruch. In diesem Beitrag zeige ich auf, welche drei Punkte den Ausschlag gegeben haben: die richtige Einlassung, die saubere Prüfung von Vorsatz und „sexueller Handlung“ sowie die entscheidende Rolle der Aussagepsychologie.

 

Freispruch nach Missbrauchs-Vorwurf gegen Pfleger: 3 Erfolgsfaktoren

Das Landgericht Bochum hat meinen Mandanten, ein engagierter Krankenpfleger, im Berufungsverfahren freigesprochen. Dieser war zuvor durch das Amtsgericht Herne wegen dem Vorwurf sexueller Missbrauch unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
Gegen dieses Urteil hat die damalige Verteidigerin sowie die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei das Urteil noch „viel zu milde“ gewesen.

Erfolgsfaktor 1: Reden statt Schweigen!

In den meisten Sexualstrafverfahren steht Aussage gegen Aussage, d.h. es gibt zu dem vorgeworfenen Geschehen keine objektiven Beweise wie etwa Augenzeugen.
In diesem Fall kann eine Verurteilung allein auf die Belastungsaussage der Anzeigeerstatterin gestützt werden.
Daher kann der für die Verteidigung außerhalb des Sexualstrafrechts häufig zutreffende anwaltliche Rat, zu den Vorwürfen zu schweigen, im Sexualstrafrecht gerade nicht richtig sein.
Denn: gibt der Beschuldigte bzw. Angeklagte selbst eine qualifizierende Erklärung zu dem verfahrensgegenständlichen Geschehen ab, ist die Aussage der Anzeigeerstatterin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen, weil sie dann die einzige Tatzeugin wäre.
Dies bedeutet, dass in einer Gesamtbetrachtung alle entscheidungsrelevanten Umstände wie Falschbelastungsmotivation, Aussagequalität sowie Anhaltspunkte für eine unbewusste Falschaussage einzubeziehen wären. Nur wenn sich hieraus sodann tatsächlich ein genügendes Übergewicht zu Gunsten der Position der Anzeigeerstatterin ergäbe, wäre deren Aussage zu folgen.

Reden statt Schweigen: Warum die Aussage des Angeklagten alles veränderte

In der Strafverteidigung lautet der konventionelle Ratschlag oft, dass der Angeklagte von seinem Recht zu schweigen Gebrauch machen sollte. Doch in Sexualstrafverfahren, wo oft keine physischen Beweise existieren und der gesamte Fall auf der Glaubwürdigkeit zweier Personen beruht, kann Schweigen fatal sein. Es lässt die Erzählung der Belastungszeugin unwidersprochen im Raum stehen.

Entgegen der bisherigen Verteidigerin riet ich meinem Mandanten daher dringend, seine Sicht des fraglichen Geschehens gegenüber dem Gericht zu erklären.
Hierbei räumte er auch ein, dass er den Arm der Patientin und jetzigen Belastungszeugin berührt habe, um sie zu trösten.
Auch, dass er an der Seite angestupst habe, um sie vor einem geplanten Schlafentzugs-EEG am Einschlafen zu hindern.
Küsse, wie von der Zeugin behauptet oder jegliche sexuelle Absicht stellte er entschieden in Abrede.
Indem der Angeklagte also eine alternative, plausible und insbesondere nicht-sexuelle Erklärung für die Vorwürfe anbieten konnte, hatte das Gericht erst die Möglichkeit zu prüfen, welche Aussage der Beteiligten – die der Zeugin oder diejenige des Angeklagten – es für glaubhafter hielt.

2. Erfolgsfaktor: Vorsatz Berührung ist nicht automatisch

Leider zeigt die Erfahrung, dass Männern die sexuelle Handlung eines Körperkontakts nahezu automatisch unterstellt wird. Die Angabe, nicht in sexueller Absicht gehandelt zu haben, wird von der Justiz zumeist als „Schutzbehauptung“ abgetan.
Anders das Landgericht Bochum: für das Gericht lag die angebliche sexuelle Absicht des Angeklagten gerade nicht auf der Hand. Denn Voraussetzung eines jeden Sexualdelikts ist neben der objektiven Erfüllung der Tatbestandsmerkmale auch der Vorsatz, also Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.
Indem der Angeklagte eine nachvollziehbare, nicht-sexuelle Erklärung für seine Handlungen darlegte, verneinte das Gericht den Nachweis einer sexuellen Absicht, des sogenannten Vorsatzes.

Damit fehlt es auch an einer sexuellen Handlung.

Im Sexualstrafrecht taucht immer wieder der Ausdruck „sexuelle Handlung“ auf. Er meint nicht einfach alles, was man im Alltag als „sexuell“ empfindet oder bezeichnet. Der Gesetzgeber hat den Begriff in den 1970er-Jahren eingeführt, als das Sexualstrafrecht grundlegend überarbeitet wurde. Dabei ersetzte man ältere, moralisch geprägte Begriffe wie „Unzucht“ durch eine neutralere Formulierung, die juristisch klarer gefasst werden sollte.

Wichtig ist: Das Strafgesetzbuch erklärt nicht in einem einzigen Satz, was eine sexuelle Handlung ist. Stattdessen grenzt es in § 184h StGB ein, wann Handlungen strafrechtlich unter diesen Begriff fallen. Entscheidend sind dabei zwei Punkte. Erstens berücksichtigt das Gesetz nur Handlungen, die mit Blick auf das geschützte Rechtsgut ein gewisses Gewicht haben, also nicht völlig geringfügig sind. Zweitens gelten sexuelle Handlungen „vor einer anderen Person“ nur dann als solche, wenn die andere Person den Vorgang tatsächlich wahrnimmt. Es reicht also nicht, dass etwas in räumlicher Nähe passiert, sondern es kommt darauf an, ob es für die andere Person erkennbar ist.

Unterscheidung zwischen Alltagssprache und Strafrecht

Genau hier zeigt sich der Unterschied zwischen Alltagssprache und Strafrecht. Aus Sicht einer handelnden Person kann etwas einen sexuellen Bezug haben, auch wenn es niemand bemerkt oder bemerken soll. Strafrechtlich kann diese subjektive Einordnung aber ins Leere laufen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Das Recht knüpft nicht allein an das innere Erleben an, sondern an Verhalten, das nach außen wirkt und deshalb überhaupt rechtlich bewertet werden kann.

Seit einer Reform im Jahr 2016 gilt: Auch Berührungen mit sexuellem Bezug, die für sich genommen nicht die erforderliche Erheblichkeit erreichen, können strafbar sein. In solchen Fällen kommt insbesondere der Tatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) in Betracht, wenn die betroffene Person sich dadurch belästigt fühlt.

Keine Verurteilung nach § 174c StGB (Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses)

§ 174c, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses indes
setzt die sexuelle Handlung an einer dem Beschuldigten wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertrauten Person voraus.

Eine Verurteilung nach § 174c StGB schied also aus.

Einzig denkbar wäre also noch eine Verurteilung wegen sexueller Belästigung, § 184i StGB, gewesen.
Demnach wird bestraft, „wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“,
wobei diese „Berührung in sexuell bestimmter Weise“ gerade NICHT die Kriterien einer sexuellen Handlung erfüllen muss.
Vielmehr genügt für die Annahme einer sexuellen Belästigung jegliche körperliche Berührung, durch die eine andere Person sich sexuell belästigt FÜHLT. Die Berührung muss also gerade nicht erheblich sein.

Der Tatbestand der „sexuellen Belästigung“ wurde erst Ende des Jahres 2016 eingeführt. Er stellt einen „Auffangtatbestand“ dar für all diejenigen Fälle, in welchen mangels sexueller Handlung bislang eine Strafbarkeitslücke für Berührungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle bestand.

Erfolgsfaktor 3: Aussagepsychologie

Nach Kenntnis der plausiblen alternativen Erklärung des Angeklagten zum Hergang des Geschehens änderte auch die aussagepsychologische Sachverständige ihr vorläufiges Gutachten ab.
Dieses hatte der Aussage der Anzeigeerstatterin zunächst Glaubhaftigkeit attestiert.
Nach darauf erfolgter erneuter Analyse der forensischen Qualität des „Aussagematerials“ war dieses Ergebnis aussagepsychologisch nicht mehr haltbar. Denn die Qualität der Belastungsaussage kann nur an den strittigen Handlungen beurteilt werden. Durch die Erklärung des Angeklagten zur Sache geschmälert war dieses nunmehr derart geschmälert, dass die Glaubhaftigkeit der Belastungsaussage aussagepsychologisch nicht mehr festgestellt werden konnte.

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