Gewalt bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung
Begrüßenswert im Zusammenhang mit dem Begriff der Gewalt als Tatbestandsvoraussetzung der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung ist ein neuer Beschluss des BGH vom 30.09.2015 – (Az. 5 StR 199/15).
Demnach ist die Verurteilung wegen Vergewaltigung nur dann revisionsrechtlich beanstandungsfrei, wenn das Urteil ausdrückliche Feststellungen auch dazu trifft, dass der Angeklagte Gewalthandlungen zur Überwindung eines erwarteten Widerstands des potentiellen Opfers vornahm. Erforderlich sind zudem Feststellungen im Urteil zu einem körperlich oder verbal geäußerten entgegenstehenden Willen des potentiellen Opfers.
Anlass der neuerlichen BGH-Entscheidung war die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 19.11.2014.
In diesem Urteil hatte das Landgericht den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes sowie sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Die Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg – der BGH hat das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Schuldspruch sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Konkret kam das Landgericht in den Feststellungen zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte von dem jugendlichen Opfer den vollendeten Oralverkehr „erzwang, indem er sich auf den Jungen setzte, mit der Hand seinen Mund öffnete und sein Glied einführte. Der Angeklagte kam zum Samenerguss im Mund des Jungen, der das Ejakulat schlucken musste".
Nach Ansicht des BGH belegt diese Sachdarstellung indes nicht, dass der Angeklagte den Geschädigten zur Duldung des Oralverkehrs im Sinne der sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs.1 Nr. 1 StGB mit Gewalt genötigt hat.
Denn ob das Setzen des Angeklagten auf das Tatopfer und das Öffnen dessen Mundes zur Überwindung erwarteten Widerstandes erfolgten, ist nicht ausdrücklich festgestellt. Gleiches gilt für einen körperlich oder verbal geäußerten entgegenstehenden Willen des potentiellen Opfers.
Insbesondere verstehe sich dieses vorliegend schon angesichts des Alters des Jugendlichen sowie des Umstands, dass der Angeklagte schon zuvor über einen längeren Zeitraum - ohne Einsatz von Gewalt -sexuelle Handlungen an diesem vorgenommen haben soll, nicht von selbst.
Zum Hintergrund
Zentrales Tatbestandsmerkmal der sexuellen Nötigung ist die Anwendung von Gewalt, d.h., die Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch vis absoluta, also unwiderstehliche, den Willen des Betroffenen völlig ausschaltende Gewalt, oder durch vis compulsiva, mithin nicht unüberwindliche, aber den Willen des Betroffenen in die seitens des Täters gewollte Richtung lenkende Gewalt.
Dabei versteht man unter „Gewalt“ einen durch nicht ganz unerhebliche – unmittelbare oder mittelbare – Einwirkung auf einen anderen ausgeübten, körperlich wirkenden Zwang, der dazu geeignet ist, eine tatsächlich geleistete Gegenwehr zu überwinden oder einen lediglich erwarteten Widerstand von vornherein auszuschließen (MüKo-Renzikowski, § 177 Rn .23.).
Auch auf Seiten des Opfers wurde bislang ein Mindestmaß an Widerstand verlangt, ohne das keine Gewalt vorliegen sollte.
Allerdings kommt es dann, wenn die Gewalt nur zur Unterbindung eines erwarteten Widerstandes eingesetzt wird, nicht darauf an, ob das Opfer tatsächlich Widerstand geleistet hat (vgl. BGH: Beschluss vom 10.05.1988, 4 StR 201/88).
Allerdings wäre auch in diesem Fall in den Urteilsgründen die Feststellung zu treffen, dass der Täter den Widerstand des Opfers tatsächlich erwartet hat und die Gewalt anwandte, um diesen von vornherein auszuschließen.
Weiter muss zwischen der Gewalt und der sexuellen Nötigung eine Mittel-Zweck-Beziehung bestehen, dh. die Gewaltanwendung muss der Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen dienen (MüKo-Renzikowski, § 177 Rn .30).